Steine
in der Dreieich
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Temporäre Gleisanlagen im Neu-Isenburger WaldMai
2015
Als in den Kriegsjahren ab 1943 die Luftüberlegenheit der englischen und amerikanischen Flugzeuge immer größer wurde, sanken nicht nur die deutschen Städte durch Bombenangriffe in Schutt und Asche. Auch die Verkehrswege, insbesondere die Eisenbahninfrastruktur, waren Ziele der alliierten Luftwaffen. Durch Tieffliegerangriffe auf stehende und fahrende Züge gab es große Verluste an Menschen und rollendem Material. Die Reichsbahn, schon von Anfang an voll integriert in die Nazi-Kriegsmaschinerie, behalf sich damit, dass insbesondere die Militärzüge überwiegend nachts auf den Schienen waren. Tagsüber wurden diese Züge auf mehr oder weniger provisorisch verlegten Schienen im Wald - durch das Blätterdach getarnt – vor Luftangriffen versteckt. Es war mir bekannt, dass nördlich der Station Zeppelinheim zwei Gleis-Trassen von der Riedbahn nach Osten in den Wald abbiegen. Ich hatte sie auf der Suche nach einem Gedenkstein dort entdeckt. Die beiden Gräben sind andeutungsweise im aktuellen Messtischblatt 5917 dargestellt. Anmerkung 8/16: Leider stimmt die Vermutung nicht, dass die Gräben bei Zeppelinheim von Gleis-Trassen aus dem 2. Weltkrieg stammen. Diese Gräben sind bereits in einem Messtischblatt aus dem Jahr 1938 eingezeichnet. Als ich ähnliche Strukturen im Neu-Isenburger Wald erkannte, lag es nahe, auch dort temporäre Gleisanlagen zu vermuten. Allerdings waren vor Ort Trassenverläufe kaum zu erkennen. Luftbilder ergaben naturgemäß keinerlei Anhaltspunkte. Frau Gesine Weber von der Unteren Denkmalschutzbehörde hatte mir jedoch Zugang zu Laserscan-Bildern des Gebietes um den Neu-Isenburger Bahnhof vermittelt, die ich mit Zustimmung des Kreises Offenbach* hier publizieren kann. Die Laserscan-Bilder zeigten südlich und südwestlich des Neu-Isenburg auf beiden Seiten der Main-Neckarbahn ausgedehnte Gleis-Trassen. Die Bilder erlaubten es, einen Versuch zur Rekonstruktion des Gleisbildes zu machen. Natürlich war ich vor Ort wo ich einige Artefakte finden konnte, die u.a. belegen, dass sich dort ein in der Literatur erwähntes behelfsmäßiges „Bahnbetriebswerk“ befand. Recherchen bei sachkundigen Personen und in der Literatur rundeten das Bild ab. *Copyrightrechte für Stadtplan: (c) Kartengrundlage: BürgerGIS Kreis Offenbach, für 3D-Daten: (c) Kartengrundlage: BürgerGIS Kreis Offenbach, auf Basis der 3D-LaserScan-Daten des Landes Hessen. Lesen Sie -->hier einen Artikel aus der OP-online zu diesen Funden Beobachtungen Als Betreiber der Website www.steine-in-der-dreieich.de machte mich im April 2015 Patrick Müller aus Neu-Isenburg auf eine „Flakstellung“ im Wald südlich des alten Neu-Isenburger Gütergleises an der südlichen Sickergruben der Neu-Isenburger Regenwasserkanalisation aufmerksam. Sie bestehe aus zwei „Laufgräben“, einer betonierten Grube (Bunker?) und einem großen Betonsockel. Einer der Laufgräben sei vor Jahren von ihm und seinen Freunden ausgegraben worden. Weiterhin seien dort Gräben und Wälle zu finden, die er als Reste von Verteidigungsanlagen interpretierte. Er hat einen kurzen Videofilm auf YouTube gestellt. Mein Interesse war geweckt und so machte ich mich am nächsten Tag zum angegebenen Ort. Am östlichen Rand der Sickergrube, im eingezäunten Bereich, war ein ca. 4 m hoher Betonklotz zu sehen, der eine Grundfläche von ca. 2 x 2 m hatte. Er ist mit Hohlblocksteinen erhöht worden, um Fledermäusen eine Rückzugsmöglichkeit zu bieten. Nistkästen sind ebenso daran befestigt. Der Vogelschützer Ernst Böhm nannte den Betonklotz auf Nachfrage den „Fledermausturm“. Er könne früher ein Teil einer Flakstellung gewesen sein, meinte Böhm. Nach einigem Suchen fand ich wenige Dutzend Meter südlich davon einen der beiden betonierten "Laufgräben" mitten im Wald. Er ist ca. 25 m lang, 1,10 m breit und 0,90 m tief. Auch der Boden ist betoniert. An beiden Enden befinden sich Treppen mit je 5 Stufen. In der Mitte auf der südlichen Seite befindet sich ein betonierter, ca. 1,80 m tiefer Schacht (ca. 2,40 x 1,00 m), der offensichtlich mit Holzbohlen abgedeckt war. An der Ostseite des Schachtes ganz unten erkennt man eine 50 cm breite Öffnung, die sich nach 20 cm verjüngt und deren Zweck sich dem Betrachter nicht augenscheinlich erschließt. Vorsicht: Der Waldboden ist am Schacht unterspült, Einbruchgefahr! Die ganze Gegend schien wie durchgepflügt zu sein. Überall waren Gräben und Wälle zu erkennen, die wie der Laufgraben, in West-Ost-Richtung verlaufen. Recherchen Ich hatte durch Vermittlung der Unteren Denkmalschutzbehörde Zugang zu Laserscan-Bildern dieses Waldgebietes. Es handelt sich um Luftbilder, bei denen die Erdoberfläche mit einem Laser abgetastet wird. Hierbei können geringe Höhenunterschiede praktisch dreidimensional dargestellt werden. Ein Blick auf das Laserscan-Bild bestätigte meine Vermutung, dass es sich um ehemalige Gleisanlagen handelt. Zusätzlich erkennt man auf der Westseite der Main-Neckar-Bahn weitere Strukturen, die ebenfalls ein Gleisfeld („Gleisharfe“) gewesen sein konnten. Auf dem entsprechenden Ausschnitt des aktuellen Stadtplans sind zwei Schneisen eingezeichnet (rot markiert), die nicht in das rechteckige Schneisensystem passen und die auf Vorkriegskarten nicht zu finden sind (dies habe ich allerdings erst später erkannt). Der zuständige Revierförster Hanke verwies mich auf einen mir bekannten Forstwirt. Dieser bestätigte, dass es sich um Gleise gehandelt haben musste. Ein Kollege hätte ihm erzählt, dass nach dem Krieg der Schotter ausgebaut wurde, um ihn im Waldwegebau zu nutzen. Über Andreas Burow, einem Co-Autor des Buches über die Dreieichbahn, kam ich in Kontakt mit Benedikt Groh der eine Website über die Neu-Isenburger Bahnhöfe betreut. Er wusste, dass südlich des Bahnhofs während des Krieges Bahngleise im Wald lagen, kannte aber keine Einzelheiten. Er verwies mich auf das Buch von Mathias Tank „Bahnhof Neu Isenburg“, das mir Frau Claudia Lack vom Neu-senburger Stadtarchiv zugänglich machte. Auf S. 106 ist dort zu lesen: "Auf einem Abstellgleich Richtung Buchschlag-Sprendlingen - nach Berichten alter Eisenbahner befand sich rund 900 Meter vom Stationsgebäude (südlich) im Wald ein kleines Ausweich-Bahnbertriesbwerk (Bw) für Schnellreparaturen an den Dampflokomotiven - standen rund 20 Dampflokomoptiven, die zum größten Teil bereits nur noch Schrottwert besaßen." Diese Informationen erlauben nun eine relativ widerspruchsfreie Interpretation der Befunde. Gleisfeld West Man erreicht dieses Gleisfeld, indem man von Norden unter der Straßenbrücke nach rechts und dann nach links in eine als Reitweg gekennzeichnete Schneise einbiegt, die wie oben erwähnt, in Vorkriegskarten nicht eingezeichnet war. Dies war früher die Trasse des Zufahrtsgleises. Man findet (neben Wildschweinen) Gräben und Wälle im Wald, deren Verlauf man vor Ort kaum nachvollziehen kann. Erst im Laserscan-Bild kann man die Strukturen erkennen. Im rechten Bild wurde ein Versuch unternommen, diese Strukturen deutlicher darzustellen. Es handelt sich zweifellos um eine Anlage, in der Züge tagsüber getarnt abgestellt werden konnten. Zwischen den beiden linken Gleisen erkennt man unten eine rechteckige Struktur. Es könnte sich um den (erhöhten) Boden eines Aufenthaltgebäudes für die Bahnbediensteten gehandelt haben. Insgesamt waren über dort 2000 m Gleis und sechs Weichen verbaut. Auf dem Waldboden kann man Eisenbahn-spezifische Metallteile (Reste einer Weiche, Schwellenschraube) und sowie wenige Betonreste und Hochofenschlacke finden. Gleisfeld Ost Hierbei handelt es sich um das erwähnte provisorische „Bahnbetriebswerk“. Die Trasse des südlichen Zufahrtsgleises existiert heute noch als eine gebogene Verbindungsschneise zwischen der Breitseeschneise und der Lange Schneise. Auf dem Laserscan-Bild ist sie schwach zu erkennen (rote Pfeile). Wenn man das Zufahrtsgleis über einen der Gräben mit dem rechten gebogenen Gleis verbindet, erhält man das „Rückgrat“ des Gleissystems (kleines Bild rechts oben). Am Bogen des Gütergleises erkennt man einen Abzweig (blauer Pfeil). Auf Basis der Beobachtungen vor Ort und mit einiger Phantasie kann man das Gleissystem anhand der Grabenverläufe ergänzen. Man erkennt, dass es sich um ein Gleisdreieck handelt, mit dem die Lokomotiven die Fahrtrichtung wechseln konnten, ohne eine Drehscheibe nutzen zu müssen. Die südliche Zufahrt erfolgte über die heutige gebogene Verbindungsschneise. In Höhe der Breitseeschneise verzweigte sie sich. Die Gleise trafen dann wieder an der Eisenbahnschneise zusammen, wo sie sich anschließend wieder verzweigten. Die nördliche Zufahrt erfolgt über das Gütergleis. An Ort und Stelle ist noch deutlich eine Grabenstruktur zu erkennen. Die Verbindung ist heute durch das nach dem Krieg angelegte Sickerbecken unterbrochen worden. Der „Laufgraben“ ist sicherlich ein Inspektionsgraben, um die Unterseite der Lokomotiven zu begutachten und zu warten. Er könnte auch als Schlackegrube gedient haben. Die Grube neben diesem Graben war zunächst rätselhaft. Patrick Müller kam auf die Idee, dass es sich um einen Wasserkran zum Befüllen der Wassertender von Lokomotiven handeln könnte. In Wikipedia ist unter dem Stichwort „Wasserkran“ eine Grube abgebildet, die der im Neu-Isenburger Wald entspricht (Abb. links). Das Wasser kam wahrscheinlich vom Wasserturm des Neu-Isenburger Bahnhofs. Patrick Müller schlug ebenfalls vor, dass der „Fledermausturm“ der Sockel eines Kohlekrans gewesen sein könnte. Im Internet gibt es einige Abbildungen, die dafür sprechen. Auf dem Laserscan-Bild führen zwei Trassen in Richtung „Fledermausturm“. Keine Erklärung habe ich für die rechteckige Grabenstruktur am östlichen Ende der Gleisanlage (Bild unten links). Vor Ort erkennt man einen rechteckigen, ca. 0,5 m tiefen Graben und eine Vertiefung (Durchmesser und Tiefe ca. 1 Meter). Patrick Müller zeigte mir den zweiten Laufgraben, der ca. 50 m weiter nordöstlich zu finden ist. Er ist mit Schotter zugeschüttet; seine Wände kommen nur an wenigen Stellen zum Vorschein. Wie der andere Graben ist er 1,10 m breit und ca. 25 m lang. Treppen haben wir im Schotter nicht gefunden. Interessant ist die Tatsache, dass das südwestliche, nicht aber das nordöstliche 60 cm breite Fundament noch ca. 25 m nach Südosten weitergeführt wurde. Gewindereste im Beton belegen, dass die Schwellen auf einer Seite auf dem Betonfundament befestigt waren und auf der anderen Seite im Schotter lagen. Dieses Gleis verlief Richtung Bekohlungsanlage (= "Fledermausturm"). Im Wald südlich der Sickergrube erkennt man insgesamt drei nach Nordwest verlaufende Gleis-Trassen, deren Spuren durch den Bau der Sickergrube eliminiert wurden. Wenn man spekulieren darf: Auf Vorkriegskarten erkennt man, dass es von dem Industriegleis ein Abzweig in die heutige Siemensstraße gab. Es wären nur 200 Meter Gleis zu verlegen gewesen, um eine „Ausfahrt“ nach Norden zu realisieren. Das sind allerhand Vermutungen. Der Rekonstruktionsversuch der östlichen Gleisanlagen ist sicherlich fehlerbehaftet. Die gepunktete Trasse auf dem Bild Richtung Norden ist auf dem Laserscan-Bild nur ganz schwach erkennbar und im Wald nur zu erahnen. Die „Alten Eisenbahner“, die darüber hätten Auskunft geben können, sind längst verstorben. Vielleicht existieren in Archiven noch entsprechende Gleispläne. Einen Gleisplan aus dem Jahr 1960 stellte mir Benedikt Groh zur Verfügung. Dort ist der Abzweig vom Gütergleis in den Wald noch eingezeichnet (roter Pfeil). Diese Information rundet die bisherigen Erkenntnisse sehr schön ab. Er hat diesen Gleisplan (Hessisches Staatsarchiv Darmstadt) halbtransparent auf eine Luftaufnahme aus 1985 (Luftbildarchiv Wiesbaden) kopiert. Hier sind die Verläufe einiger Trassen noch zu erahnen. Interessant ist die dort eingezeichnete Plattenfabrik Wiegand und Bellmann. Die Zufahrt zur Gleisharfe West verlief durch das Gelände, das jetzt von der Westrampe der Bahnüberführung bedeckt wird. Die Firma bestand nach Unterlagen des Hessischen Staatsarchivs nur zwischen 1946 und 1950. Sie hatte einen Gleisanschluss, über den die Transporte abgewickelt werden konnten. Benedikt Groh hatte sich vor einigen Jahren in einem Internetforum zu den Befunden im Neu-Isenburger Wald geäußert. Ihm standen leider keine Laserscan-Bilder zur Verfügung, die ihm die Problemlösung erleichtert hätten. Man möchte eigentlich nicht darüber nachdenken, wer unter welchen Umständen die Anlagen in diesem unseligen Krieg gebaut hat. Es ist gesichert, dass viele ausländische Zwangsarbeiter unter schlimmen Bedingungen damals im Gleisbau eingesetzt wurden. Zu dieser Zeit gab es auch SS-Baubrigaden, in denen Häftlinge aus Konzentrationslagern beim Gleisbau zu Tode geschunden wurden. Wie dem auch sei: Die Quellenlage bei den Neu-Isenburger Gleisanlagen ist so spärlich, dass wir es wahrscheinlich nie erfahren werden. Vielleicht melden sich noch Zeitzeugen. Anmerkung 7/15: Auf den Artikel in der Offenbach-Post meldete sich Herr Günter Rausch aus Langen (Jahrgang 1938), der seine Jugend in Neu-Isenburg verbrachte. Als Jugendlicher stromerte er mit Kameraden oft in dem besagten Waldstück. Er erinnert sich noch an die gekrümmten Gleise, an den Wasserkran und an den Kohlekran auf dem Betonsockel. Nach dem Krieg standen noch einige Zeit 10-15 beschädigte Lokomotiven im Wald. Irgendwann verschwanden diese, ebenso wie die Gleise. Er selbst habe dort Eisenteile und Kohlestücke gesammelt. Die Gleisanlagen im Westen kennt er nicht, er erinnert sich aber, dass es dort ein Lager für Ausländer und Flüchtlinge gab. Herr Hubeler informierte, dass sein kürzlich verstorbener Onkel ihm erzählt hätte, dass bei Kriegsende ein kompletter Zug mit nagelneuen Focke-Wulf Jägern im Wald stand, aus deren Armaturenbrettern er Anzeigen und Schalter ausbaute. Zusammenfassung Ausgehend von Artefakten südlich des Neu-Isenburger Bahnhofs wurden durch die Betrachtung von Laserscan-Bildern die Trassen von zwei Gleisanlagen auf beiden Seiten der Main-Neckar-Bahn identifiziert. Die westliche war eine Abstellanlage zur Tarnung von Zügen, die östliche ein getarntes „Bahnbetriebswerk“ mit Inspektionsgräben, Wasserkran und einer Bekohlungsanlage. Die Anlage war als Gleisdreieck konzipiert. Eine Verbindung zum ehemaligen Industriegleis in der Siemensstraße wird postuliert. Diese Anlagen wurden wahrscheinlich 1943/44/45 erbaut und nach dem Krieg wieder entfernt. Die Gleislänge betrug insgesamt rund 5000 Meter. In der folgenden Abbildung sind die Gleispläne auf einen modernen Stadtplan kopiert. Die postulierte Verbindung zu dem ehemaligen Industriegleis in der Siemensstraße ist eingezeichnet. S. dazu die Anmerkung weiter unten. Anmerkung 8/2015: Herr Ulrich Fogel machte mich darauf aufmerksam, dass im Nahrgang-Atlas (Lit. Nahrgang 2) auf der Seite XII 10/119 (und weniger deutlich auf Seite X 10/130) die Gleisanlagen im Isenburger Wald abgebildet sind. Der Großmeister der Dreieicher Heimatforscher hat es wieder einmal gewusst! Das Bild rechts gibt eine starke Vergrößerung des Ausschnittes aus dem Buch wieder. Es ist offensichtlich, dass bei dem großen Abbildungsmaßstab nicht jede Weiche dargestellt werden konnte. Eines ist aber deutlich: Die von mir postulierte Verbindung über die Siemensstraße existierte nicht. Eine intensive Nachbetrachtung der Laserscan-Bilder schließt eine weitere Verzweigung des östlichen Stichgleises über die Lehmschneise hinaus nicht aus. Anmerkung 12/2018: Herr Dr. D. aus B. teilte mir in einer Mail seine Kindheitserinnerungen aus dieser Zeit mit. Lesen Sie -->hier seinen Bericht. |