Die Wienand-Villa in Sprendlingen
Ein trauriges Beispiel für den Umgang unserer Gesellschaft mit historischen Gebäuden
Die Vorgeschichte
1908 wurde die von Friedrich August Wienand gegründete Zahnfabrik von Pforzheim in die Sprendlinger Eisenbahnstraße verlagert. Ausschlaggebend war die Versorgung mit Wasser und Gas durch das neu errichtete Gaswerk in der Nachbarschaft. Die Zahnfabrik entwickelte sich im Laufe der Zeit sehr positiv und wurde zum größten Arbeitgeber in Sprendlingen. Nach dem Tod des Gründers übernahmen dessen Söhne die Geschäftsführung: Dr. Heinrich Wienand war der wissenschaftliche und der Bruder Friedrich (Fritz) Wienand der kaufmännische Leiter. Beide Fabrikbesitzer mussten natürlich eine repräsentative Domizil vorweisen. Fritz Wienand kaufte sich ein großes Anwesen im Buchschlager Kohlseeweg, das mehrfach umgebaut heute noch zu Wohnzwecken dient.
Die Villa von Heinrich August Wienand wurde im Ersten Weltkrieg geplant, auf einem Grundstück in direkter Nachbarschaft der Zahnfabrik in der Eisenbahnstraße 200. Im Staatsarchiv in Darmstadt wird der Plan der Gartenanlage aus dem Jahr 1919/1920 aufbewahrt (Signatur O 24 Nr. 68/11). Man erkennt den Grundriss der Villa mit einer vorgelagerten Terrasse, einem Rosenbeet und einem Wasserbecken. Zwischen dem Wasserbecken und dem Tennisplatz ist ein rundes Gebäude eingezeichnet: der Pavillon. Eine wunderschöne Parkanlage. !919/1920 war keine gute Zeit, eine solche Villa zu bauen, sie wurde erst 1926 errichtet. Das Rosenbeet, das Wasserbecken und der Pavillon wurden realisiert. Vor dem 2. Weltkrieg kam es zu einer Teilung des Grundstücks, wobei der westliche Teil in den Besitz der Gaszählerfabrik Dehm & Zinkeisen gelangte. --> Hier ein Luftbild aus 1944 des Geländes. Heinrich August Wienand wohnte mit seiner Familie in der Villa bis zu seinem Tod im Jahr 1948, danach lebte sein Sohn Heinrich bis in die 1960er Jahre in dem Anwesen. Vor 1978 erfolgte der Verkauf des Geländes mitsamt der Villa an einen Investor, der auf dem hinteren Teil des Grundstücks ein Hotel baute, das an verschiedene Betreiber verpachtet wurde (Mercure, Best-Western, Dorinth). Die Villa diente als Tagungsstätte für Familienfeiern oder Firmenseminare. Sowohl die Firmengebäude von Dehm und Zinkeisen als auch die der Zahnfabrik wurden abgerissen, um einer Bebauung Platz zu machen. Es entstanden ein neues Wohngebiet sowie entlang der Eisenbahnstraße eine Seniorenwohnanlage und ein Supermarkt. 2021 soll es dem Vernehmen nach einen Wasserschaden im Hotel gegeben haben. Daraufhin entschloss sich der Eigentümer, eine englische Investmentfirma, das Gelände zu verkaufen. Der neue Besitzer ist eine lokaler Projektentwickler, der eine hohe Summe für das begehrte Grundstück zahlte. Dabei spielte auch die Tatsache eine Rolle, dass die Villa nicht unter Denkmalschutz stand.
Abrisspläne
Wir von den Freunden Sprendlingens erfuhren gerüchteweise von den Abrissplänen. Zusammen mit Corinna Molitor, Leiterin des Dreieich-Museums, und dem Vorstand des Geschichtsvereins Buchschlag verfassten wir einen Offenen Brief an den Investor mit der Aufforderung, die Villa zu erhalten und in das Neubauprojekt zu integrieren. Gleichzeitig kontaktierten wir das Landesamt für Denkmalpflege. Uns wurde mitgeteilt, dass bereits in den 1980er Jahren das Gebäude begutachtet wurde. Danach erfüllte es nicht die Kriterien, um es nach dem Hessischen Denkmalschutzgesetz als Kulturdenkmal einzustufen. Im Rahmen der Verkaufsverhandlungen wurde das Haus erneut vom Landesamt aufgesucht. Die Gutachter kamen zu dem gleichen Ergebnis. Viele Bürger können diese Einstufung nicht nachvollziehen, insbesondere weil die lokalhistorische Bedeutung (Zahnfabrik, Wienand-Villa in Buchschlag, Wienand-Familie als Mäzen in Sprendlingen usw.) nicht hinreichend Berücksichtigung fand. Unter Vermittlung des Stadtverwaltung kam es am 28.12.2021 zu einem Ortstermin mit dem Investor. Wir hatten die Möglichkeit, das Innere der Villa zu besichtigen. Der Investor erläuterte, dass er mittels eines Gutachtens geprüft habe, ob die Villa erhalten werden könne. Das Ergebnis war prinzipiell positiv, allerdings gebe es kein realistisches Nutzungskonzept, das die hohen Renovierungskosten hätten rechtfertigen können. Er sei aber durchaus bereit, die Villa zu verkaufen, wenn seine bisherigen Investitionen vergolten werden würden. Wir nahmen daraufhin nochmals Kontakt mit der Stadt auf mit der Bitte zu prüfen, ob dort möglicherweise eine Kindertagesstätte eingerichtet werden könne. Offensichtlich wurde dies geprüft und ob der hohen Kosten verworfen.
Z
Das Ende
Zwischenzeitlich wurde der Abriss in den sozialen Medien intensiv diskutiert. Von Unbekannten wurde ein Banner am Bauzaun angebracht: "Die größte Gefahr der modernen Architektur ist der Bazillus der Monotonie. Deshalb: Kein Abriss der Villa Wienand!". Im administrativen und dann im politischen Bereich wurde der Erlass einer Erhaltungssatzung diskutiert und unter heftigem Schlagabtausch mit der Opposition von der Koalition aus SPD, CDU und FWG abgelehnt.
Mitte Februar 2021 rollten dann die Abbruchbagger an und am 21.2. 2022 war das Gebäude dem Erdboden gleichgemacht. Immerhin sagte uns der Projektentwickler zu, die Abbruchfirma zu bitten, den Dachreiter für die Freunde Sprendlingens zu sichern. Dies gelang und seitdem befindet sich das einzige Erinnerungsstück an dieses historische Gebäude im Vereinsarchiv. -->Hier kann man sich nochmals das Gebäude via Google Earth anschauen.
Was war hier grundsätzlich falsch gelaufen?
- Zunächst einmal ist anzuerkennen, dass der Hotel-Investor die Villa in sein Baukonzept integrierte, obwohl der Betrieb als Dependance aus logistischen Gründen sicherlich nicht unproblematisch war.
- Schicksalhaft für die Villa war die Tatsache, dass das Landesamt für Denkmalpflege bei zwei Besuchen die Schutzwürdigkeit des Gebäudes nach dem Hessischen Denkmalschutzgesetz nicht gesehen hat.
- Diese Entscheidung ist schwer nachvollziehbar. Die lokalhistorische Bedeutung wurde nicht hinreichend berücksichtigt. Wäre die Entscheidung so gefallen, wenn das Gebäude in Buchschlag gestanden hätte? Und: Wieso werden potthässliche, abbruchwürdige Nachkriegsbauten unter Denkmalschutz gestellt und unser schönes Gebäude nicht?
- Das Hotelgelände gehörte einer englischen Investmentfirma. Da das Hotel nicht sanierungswürdig war, machte die Firma das, was eine Investmentfirma üblicherweise tut: Sie verkaufte das Gelände an den Meistbietenden.
- Dieser war ein lokaler Projektentwickler, der den Kauf über Bankkredite abwickelte. Ausschlaggebend für den hohen Preis war die Tatsache, dass die Villa nicht unter Denkmalschutz stand, damit abgerissen und das Gelände optimal beplanbar war.
- Die Projektentwickler gaben trotzdem ein Gutachten zum Erhalt der Villa in Auftrag. Dieses kam zu dem Ergebnis, dass ein Erhalt technisch möglich sei. Allerdings gebe es kein realistisches Nutzungskonzept, das die hohen Kosten rechtfertigen könnte
- Es ist müßig darüber zu diskutieren, ob die Stadt vorausschauend eine Erhaltungssatzung hätte erlassen können, mit der der Abbruch zu verhindern gewesen wäre. Ein nachträglicher Erlass einer Erhaltungsatzung wäre juristisch höchst anfechtbar gewesen.
- Der Projektentwickler bot der Stadt die Villa zum Kauf an, damit diese z.B. eine Kindertagesstätte dort einrichtet. Dies konnte die Stadt ob der hohen Kosten und des Risikos nicht annehmen.
- Es wäret falsch, den Projektentwickler für die Misere verantwortlich zu machen. Er handelt im Rahmen der gegebenen gesetzlichen Bestimmungen und ist abhängig von seinen Geldgebern. Man kann von ihm kein Mäzenatentum fordern (aber vielleicht erhoffen).
- Der Abriss der Villa war die logische Konsequenz dieser Entwicklung vor den Hintergrund unserer kapitalistischen Werteordnung. Die existierenden Steuerungsinstrument für eine nachhaltige Stadtentwicklung (Denkmalschutz, Erhaltungssatzung) wurden nicht genutzt. Es ist dringend an den Gesetzgeber zu appellieren, den Städte Möglichkeiten an die Hand zu geben, städtebauliche Entwicklungen zu beeinflussen und sie nicht ausschließlich privaten Investoren zu überlassen.
Anmerkung 3/24: Die Abrissarbeiten am Horel kamen plötzlich zum Stillstand. Dem Vernehmen nach befand sich auf dem Hotel eine Antennenalage für behördlichen Zwecke, die nicht vor Ablauf des Mietvertrags beseitigt werden konnte. Die Zinszahlungen und die veränderten Rahmenbedingungen in der Immobilienbranche führten zur Insolvenz des Projektentwicklers. Schade, dass die Wienend Villa bereits dem Erdboden gleichgemacht worden ist.
Hier die Chronologie der Ereignisse in der Offenbach-Post:
Offenbach-Post 23.03.2024 Funkantenne bremst Geschäft aus - Gesellschaft meldet Insolvenz an
Offenbach-Post 24.07.2021 Freunde Sprendlingens: Erinnerungskultur in Dreieich erhalten
Kommentar 24.07.2021 Es geht um ein Stück Stadtgeschichte
Offenbach-Post 18.11.2021 Offener Brief: gegen drohenden Abriss einer Dreieicher Villa
Offenbach-Post 24.12,2021 Protest verhallt: Wienand-Villa droht weiterhin der Abriss
Offenbach-Post 15.01.2022 Historische Villa Wienand vor dem Abriss: Stadt will das verhindern
Offenbach-Post 19.01.2022 Aus für die Villa Wienand: Hoffnungsfünkchen ist erloschen
Offenbach-Post 22.01.2022 Grüne enttäuscht über gescheiterten Rettungsversuch
Offenbach-Post 25.01.2022 "Man sollte sich an der Realität orientieren"
Offenbach-Post 22.02.2022 Dachreiter bleibt als Erinnerung an die Wienand-Villa