Die Fassade des Sprendlinger Bürgerhauses
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Wenn ein (sehr) aufmerksamer Beobachte um das Dreieicher
Bürgerhaus
geht, wird ihm vielleicht auffallen, dass das Gebäude mit
unterschiedlichen Steinen verkleidet ist. Dieser Artikel soll
über die
Hintergründe der Verwendung beider Steinsorten berichten. Das
Thema
passt recht gut zu den "Steinen in der Dreieich".
Dem Stadtarchiv Dreieich/Sprendlingen ist zu entnehmen, dass am
24.5.1967 ein Bauwettbewerb ausgeschrieben wurde, an dem sich 67
Architekturbüros beteiligten. Gewinner des Wettbewerbs war das
Büro Schmitt und Ehnes aus Mühlheim am Main das auch die
Bauleitung übernahm. Für die Fassadenfläche war eine
Natursteinverkleidung mi Hinterlüftung geplant, alternativ eine
Außenverkleidung mit Beton-Fertigteilen mit Marmorbruchvorsatz.
Der Magistrat hat sich am 14.6.1971 dafür entschieden, als
Material für die Außenfassade Rotlava zu verwenden. Der
Auftrag ging an die Firma Teich, deren Schlussabrechnung 255.800 DM
betrug.
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Dieses auch als
Michelnauer
Tuff bezeichnete
Gestein ist ein Schlackenagglomerat, das in Michelnau, einem Stadtteil
von Nidda im Vogelsberg, gewonnen wurde. Es entstand bei einem
Vulkanausbruch, indem ausgestoßene Lavafetzen erkalteten und
sich dann verfestigten. Durch Verwitterungsprozesse wurde das im Stein
vorkommende Eisen zu rötlichem Hämatit oxidiert. Der
Steinbruch in Michelnau war zwischen 1863 und Mitte der 1990er Jahre im
Betrieb. Zunächst per Hand, später mit
Steinsägen wurden große Blöcke gewonnen,
die dann mit Gattersägen zu Platten geschnitten oder
anderweitig verwendet wurden. Der Steinbruch steht zwischenzeitlich
unter Natur- und Denkmalschutz. Er ist Eigentum der "
Freunde des
Michelnauer Steinbruchs e.V.", der
regelmäßige Führungen dort anbietet, bei
denen der historische Kran oder eine Steinsäge im Betrieb
gezeigt werden. Ein sehr empfehlenswerter Ausflug. Auf YouTube ist ein
Film
aus dem Jahr 1961 zu sehen, in dem die Arbeitsweise der
Steinbrecher zu sehen ist.
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Zurück zum Bürgerhaus: Aus ästhetischen
Gründen war die Wahl des Michelnauer Tuffs als Fassadensteine
und für die Innengestaltung eine gute Wahl. Die 110 x 60
großen Platten sind Einzelstücke, Individuen. Keine
ähnelte der Anderen. Man glaubt, die Wärme des
Vulkans beim Anfassen zu spüren. Der Stein eignet sich auch
als Material für Bildhauer. So auch in Sprendlingen. Im
Foyer des Bürgerhauses hat Inge Hagner 1972 das
"Wand-Stein-Relief" geschaffen, in dem die Struktur des Steines in
ornamentaler Form deutlich wird.
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Aus praktikablen Gründen erwies sich die Verkleidung mit dem
Vulkangestein als nicht so optimal. Die Bruchfestigkeit ist
relativ gering und die
Witterungsbeständigkeit. lässt zu
wünschen übrig. Es kam im Laufe der Zeit zu
Plattenbrüchen (manchmal auch mutwillig
veranlasst) und zu Befestigungsproblemen. Dies war im Jahr 2000 Anlass
darüber
nachzudenken, die Michelnauer Tuffplatten durch ein anderes Material zu
ersetzen, zumindest an den Seiten, die der Witterung ausgesetzt waren.
Die Bürgerhausleitung ließ durch das
Architekturbüro Klein verschiedene Alternativen durchrechnen.
Abnahme der Platten, neu dämmen
und verputzen
Abnahme der Platten, neu dämmen
und verklinkern
Abnahme der Platten, neu dämmen
und neue Natursteinplatten gleicher Farbe anbringen.
Es zeigte sich schnell, dass die dritte Alternative am
günstigsten war.
Das spezifische Aussehen des
Bürgerhauses bleibt erhalten.
Die Erhaltungsaufwendungen waren
langfristig geringer
Es konnte abschnittweise vorgegangen
werden, ohne dass die Arbeiten zu auffälligen
Änderungen des Gebäudes führten.
Die nicht der Witterung ausgesetzten
Platten konnten an Ort und Stelle verbleiben
Eine geringere Plattendicke erlaubte eine
stärkere Wärmedämmung.
Es gab nun eine Ausschreibung, an der sich sieben Firmen beteiligten.
Es sollten 1.100 qm "nordeuropäischer roter Granit" im 3 cm
Stärke über 10 cm Wärmedämmung
angebracht werden. Den Zuschlag erhielt die Firma
Schön
Steinmetz GmbH aus Steinbach/TS . Der Preis der
Natursteinplatten betrug 202 €/qm incl. Montage
netto. In der Schlussabrechnung tauchten weitere 424 qm auf. Der Stein
wurde mit "Napoleon red, (Vanca rot), water jet" bezeichnet. Eine
Internet-Recherche ergab, dass Vanca rot eine sehr
häufig verwendete Steinsorte in Deutschland ist. Der Messeturm
in Frankfurt ist mit ihm verkleidet. Es handelt sich um ein
Biotit-haltigen roten Gneis, der aus der Umwandlung von Gestein unter
hohem Druck und Temperatur entstanden ist. Er wird
auch - nicht ganz korrekt, als "roter Granit" oder "Vanga-Granit"
bezeichnet. Er wird in
Vanga
in der Nähe von Kristianstad (Schweden) in
großen Steinbrüchen abgebaut.
Eine Nachfrage bei der Schön Steinmetz GmbH ergab, dass die
Steinblöcke von Schweden zur Firma
Campolonghi Spa in
Montignoso bei Carrara / Italien verschifft wurden, um dort
gesägt, auf Form geschnitten und mit Wasserstrahlen oberflächlich endbehandelt zu werden. 1424
qm Platten bei einer Dicke von 3 cm und einem spezifischen Gewicht von
2,7 g/Kubikzentimeter mussten ca. 120 Tonnen Verkleidungsplatten (5
Lastwagen) von Italien nach Sprendlingen transportiert werden.
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Wie
schaut die Situation heute aus? Zunächst einmal: Dass
erste Hallenschwimmbad, das ebenfalls mit Michelnauer Tuff
verkleidet war, wurde abgerissen und durch einen verklinkerten Neubau
ersetzt. Damit wurde die die Ensemblewirkung mit dem
Bürgerhaus zunichte gemacht. Schade. Am
Bürgerhaus wurde die Südseite komplett ausgetauscht, bis auf
die wettergeschützte Wand des Foyers (Abb). Auch die Westseite ist
mit Granitplatten verkleidet mit der Ausnahme des Bühneneingangs.
Auf der Nordseite besteht der Streifen über den Restaurantfenster
ebenfalls aus Granit, während der Eingangsbereich und der
Bürotrakt sowie die ganze Ostseite noch mit Tuffplatten versehen
sind. Die Fassade des Pavillionstraktes ist bis auf den Eingangsbereich
ausgewechselt. Die Stadtbücherei befindet sich mit der Ausnahme
von drei Granitplatten im Eingangsbereich noch im ursprünglichen
Zustand.
Was ist das Fazit? Der warme Stein aus dem heimischen Vogelsberg wurde
durch einen kühl eleganten Granit aus Schweden an
Wetter-exponierten Stellen ausgetauscht. Das erstaunliche daran ist,
dass die Farbe beider Steinsorte fast identisch ist, so dass es den
meisten Bürgern nicht auffällt, dass am Bürgerhaus
unterschiedliche Steine Verwendung finden. Damit ist das Konzept des
Bürgerhausmanagements und des Architekten aufgegangen. Es stehen
noch einige Reserveplatten aus Granit unter Verschluss.
Dies scheint notwendig zu sein, da an der Südseite mehrere
dieser Verkleidungsplatten gestohlen wurden.