Die Jagdsteine bei Messel
Man unterscheidet bei Grenzsteinen zwischen Territorialsteinen (Landesgrenzsteine), Gemarkungssteinen, Gütersteinen und Grenzsteinen besonderer Art. Auf dieser Website werden von letzteren die Rottensteine (Grenzen der Zuständigkeitsbezirke für die Deichunterhaltung), die Schäfersteine und die Waldabteilungssteine beschrieben. In diesem Kapitel wollen wir und mit Jagdsteinen beschäftigen. Es gibt in der einschlägigen Literatur nur wenige konkrete Hinweise auf diese Grenzsteinart. In Lit. Zorn (Nr.775) wird beschrieben: "Diese Steine grenzten früher die einzelnen Jagdgebiete in größeren Wäldern ab, die zu keiner Ortsgemarkung gehörten. Nr. 775 stand im Walde zwischen Urberach und Messel, findet sich jetzt an der Landstraße, wo der Steinweg einmündet. Er wurde mit einem zweiten gleichen Stein zu Herstellung einer Bank benutzt, daher die drei Löcher. GH - Großherzogtum Hessen, Rückseite zeigt VA, wohl Namen eines Adeligen, Keuper 37 × 17 × 59 cm."
Der Messeler Heimatforscher Karl Wenchel informierte mich, dass es neben den oben beschriebenen Steinen am Knick der Landesstraße an der Einmündung des Steinwegs noch weitere dieser Steine in dem Waldstück gäbe. Meine ersten Erkundungen scheiterten an den Warnungen der Herren vom Kampmittelräumdienst, die dort tätig waren. Erst im März 2018 hatte ich wieder die Gelegenheit, nach den Steinen zu suchen. In mehreren Anläufen fand ich insgesamt 11 Steine. Sie bestehen aus Rotliegendem (und nicht aus Keuper, wie Zorn meinte), sind insgesamt 100 cm hoch (60 cm Kopf und 40 cm Fuß), 36-37 cm breit und 17-19 cm tief. Der Kopf ist halbrund und zeigt keine Weisung. Wegen des relativ kurzen Fußes stehen die meisten Steine mehr oder weniger schief. Sie sind auf der Schmalseite mit einer fortlaufenden Nummer versehen: 5, 6 (die "Banksteine" an der Landesstraße), 10 (herausliegend), 11, 15 - 20, 23 und 25. Auf der Vorder- und Rückseite tragen sie Inschriften, die z.T. stark verwittert sind: IAGD/GRENZ/VA, GH und IAGD/GRENZ/GH, VA. Die Seite auf der VA vorkommt, ist stets Richtung Westen/Süden, d. h. Richtung Messel gerichtet. In der Regel wechseln sich die Bezeichnungen ab, allerdings sind die Steine 18 und 19 gleichartig ausgeführt (s. Tabelle). Die Zahlen auf den Seiten sind ohne erkennbares System verteilt. Das "N" in Grenz ist seitenverkehrt dargestellt.
Stein 6 IAGD/OOO/GH |
Stein
10 IAGD/GRENZ/GH |
Stein
19 19 |
Stein
23 IAGD/GRENZ/VA |
Die ungefähre Lage der Steine ist auf einem Ausschnitt des Messtischblatts Langen aus dem Jahr 1963 eingetragen (damals waren die Messtischblätter noch richtig gut). Links oben erkennt man die L 3097. Im Zwickel vom Steinweg und der Hellwiesenschneise stehen die beiden Banksteine. Der umliegende Stein 10 ist nicht leicht zu finden, im Gegensatz zu dem aufrecht stehenden Stein 11, der ca. 10 m südwestlich eines flachen Grabens an einer geraden Reihe von Eichenbäumen steht. Auf der Karte ist dort eine gepunktete Linie eingetragen. Ein Blick auf ein älteres Messtischblatt zeigt, dass es sich um einen ehemaligen Weg vom Steinbruch am Dolmesberg in Richtung der Landesstraße handeln könnte. Stein 15 steht unübersehbar an einem (trockenen) Graben östlich der Weizenbornschneise knapp 40 m südlich der Kreuzung mit dem Steinweg/Sellbornschneise. Die Steine 16 bis 20 findet man in Abständen von rund 50 m aufgereiht etwas südlich des Grabens. Dieser Graben ist bei Stein 20 nicht mehr zu erkennen. Um an Stein 23 zu gelangen, muss man den aus Südwesten kommenden wasserführenden Graben überqueren. Stein 25 befindet sich in ca. 100 m Entfernung von Stein 23 ca. 30 m östlich der Eisenbornschneise südlich dieses Wassergrabens.
Jede Grenze hat einen Anfang und ein Ende. Wir haben festgestellt, dass die durchschnittliche Entfernung zwischen zwei Steinen ca. 50 m beträgt. Der Abstand von Stein 10 zu den Banksteinen misst ca. 400 m. Da passen gut noch 9 Steine hinein. Von Stein 23 bis zur 90 Grad-Ecke der Neuwiese (gelber Punkt auf der Karte) ist die Entfernung ca. 100 m. An dieser Ecke ist leider kein Grenzstein vorhanden. Aus diesen Überlegungen kann man schießen, dass diese Grenze von dem Knick der Landesstraße Messel-Urberach bis zur Neuwiese führt. Sie hat eine Länge von ca. 1300 m und war mit insgesamt 27 Grenzsteinen markiert, von denen heute noch 11 existieren.
Im Gebiet des heutigen Kreises Offenbach gab es verschiedene Waldmarken, d.h. Waldareale, die den angrenzenden Gemeinden gemeinsam gehörten: Biebermark, Auheimer Mark, Rödermark, Babenhäuser Mark, Dieburger Mark. Die Einwohner dieser Gemeinden hatten eingeschränktes Recht, den Wald z.B. zum Holzschlagen oder zum Viehtrieb zu nutzen. Zusammen mit den ungenügenden Erhaltungsmaßnahmen führte dies zum Niedergang des Waldbestandes. Die Waldmarken wurden daher um 1820 unter den beteiligten Gemeinden aufgeteilt und der Wald der Großherzoglichen Forstverwaltung unterstellt. Die Karte links (Geoportal Hessen) zeigt die heutigen Gemarkungsgrenzen, die praktisch identisch sind mit denen, die durch die Markwaldteilung entstanden sind. Allerdings gab es damals noch eine eigenständige Gemarkung "Forst Eichen", die erst um 1951 zur Gemarkung Eppershausen kam. Diese Gemarkung war nicht Teil der Rödermark, sie war Eigentum der Mainzer Kurfürsten. Durch die Skularisierung gelangte sie 1803 in den Besitz von Hessen-Darmstadt. Heute ist das Gebiet Staatswald. Die Jagdgrenze verläuft durch diese Gemarkung. Sie beginnt an dem Knick der Landesstraße, welche die Grenze zu Urberach bildet. Sie endet an einem Knick der Neuwiese an der Gemarkungsgrenze zu Messel. Die Neuwiese war nicht Teil der Rödermark, sie gehörte zum größten Teil Messeler Bürgern. Bei der Festlegung der Gemarkungsgrenzen blieb sie bei Messel.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Buxbaum-Karte der Gemarkung Forst Eichen (Situation um 1850). Es sind vier Fluren zu erkennen: Bei der Thomashütte, Oberwäldchen, Im Mainzer und Sporneichen sowie Rödermark. Und siehe da, die Grenze zwischen der Flur Im Mainzer und Sporneichen und der Flur Rödermark entspricht unserer Jagdgrenze. Es spricht einiges dafür, dass bei der Markwaldteilung das mit "Rödermark" bezeichnete Gelände als neue Flur zur Gemarkung Forst Eichen kam. Der Wald auf Messeler Gemarkungsgebiet ist Gemeindewald.
Auf einer Karte der Rödermark von 1740 (HStA, P1, 804) erkennt man bei Messel zwei Gebiete, die Hanauer und Mainzer Eichen genannt werden und die weder zur Röder- noch zur Dieburger Mark gehörig sind. Daraus ist der Domanialwald der selbstständigen Gemarkung "Forst Eichen" des Großherzogtums Hessen geworden. Der Mainzer Teil könnte 1803 durch die Säkularisierung an die Landgafschaft Hessen-Darmstadt gefallen sein, der Hanauer Teil nach dem Aussterben der Hanauer Linie im Jahr 1736 (bzw. nach Beendigung des Rechtsstreites mit Hessen-Kassel im Jahr 1771). Falls der Hanauer Teil im Amt Babenhausen (Hessen-Kassel) verblieben wäre, würde es dann doch 1810 zum Großherzogtum Hessen gekommen sein.
Das Dorf Messel war jahrhundertelang im Besitz der Familie von Groschlag. Nachdem das letzte männliche Mitglied der Familie 1799 verstorben war, wurde Messel als Lehen an den Kurmainzischen Staatsminister Franz Joseph Martin von Albini (1748-1816) vergeben. Er blieb allerdings nur bis 1806 Ortsherr von Messel, dann wurde die Gemeinde in das Großherzogtum Hessen einverleibt. Bis zur Märzrevolution 1848 hatten die Nachkommen Albinis bestimmte Standesrechte. In Lit. Raab, Wenchel et al. ist diese komplexe und hochinteressante Geschichte ausführlich beschrieben.
Die Jagdsteine sind wie oben erwähnt mit FORST / GRENZ, GH, VA und einer fortlaufenden Nummer beschriftet. GH bedeutet Großherzogtum Hessen. Sie können daher erst nach 1806 gesetzt worden sein. VA kann eigentlich nur "von Albini" heißen.
Im Staatsarchiv in Darmstadt existiert eine Gerichtsakte aus den Jahren 1821/23 (G320, 1120): Freifrau von Albini vs. Großherzogliche Forstverwaltung. Hierin ging es um "Störung im Besitz des Mitjagdrechtes in der Röder und Dieburger Mark, sowie in der Dieburger und Kleinzimmerer Gemarkung." In dem vorliegenden Teil des transkribierten Dokuments wird von der Freifrau von Albini, der Witwe von Franz Joseph Martin von Albini, verlangt, dass sie Beweise dafür bringt, über Mitjagdrechte in dem genannten Gebiet zu verfügen.
Ich konnte bisher kein abschließendes Urteil in dem handschriftlichen Konvolut finden, aber man kann wohl davon ausgehen, dass die Freifrau von Albini nach Prozessende nicht nur Jagdrechte in der neugeschaffenen Gemarkung Messel besaß (in der die Familie trotz Zugehörigkeit zum Großherzogtum Standesrechte innehatte), sondern auch darüber hinaus auch in der benachbarten Gemarkung Forst Eichen bis zur ehemaligen Rödermarkgrenze. Ihr Jagdbezirk dort wurde dann wahrscheinlich um 1824 sehr aufwändig abgesteint. Dies erscheint alles sehr plausibel; ein Beweis ist es noch nicht. Vielleicht finden sich in den Archiven weitergehende Informationen.